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Epoche - Klassik - Referat



Klassik


In jeder Nationalliteratur gibt es eine Phase, die wegen ihrer besonders reichen Entfaltung, ihrer Dichte an Werken von hohem künstlerischem Rang, ihrer Wirkung auf spätere Epochen und ihrer internationalen Bedeutung als die Klassik angesehen wird. Diese Blütezeiten sind in jedem Land chronologisch anders situiert: Was für Spanien das Siglo de Oro (1500–1680), ist für England das elisabethanische Zeitalter, und während die französische Klassik von Corneille bis Racine angesiedelt wird, reicht sie in Italien von Dante bis Tasso. Auffallend weicht hier das deutsche Pendant ab, das nicht nur einen deutlich späteren, sondern vor allem einen wesentlich kürzeren Zeitraum bezeichnet: von Goethes Italienreise 1786–1788 bis zu Schillers Tod 1805. Hinzu kommt, daß die beiden Genannten die mehr oder weniger ausschließlichen Vertreter der Klassik sind, der höchstens noch Wilhelm von Humboldt und – mit seiner theoretischen Schrift Von der bildenden Nachahmung des Schönen (1788) – Karl Philipp Moritz zugeschlagen werden, während gleichzeitige Werke anderer Autoren wie Hölderlin oder Jean Paul, Wieland oder Kleist von der Literaturgeschichtsschreibung nicht der Klassik zugeordnet werden.
Wie läßt sich diese Besonderheit erklären? Wenn überhaupt, dann als das Erreichen eines Kristallisations- und Ruhepunktes, nachdem bis dahin unterschiedliche, z. T. entgegengesetzte Strömungen das deutschsprachige Literaturschaffen geprägt hatten. Das Neuhochdeutsche entwickelte sich relativ spät als Wissenschafts- und Dichtungssprache: Opitz und in seinem Gefolge andere Poetiker schufen die ersten Voraussetzungen dafür, und erst mit Klopstocks Erschließung antiker Versmaße für das Deutsche kann von einer 'poetischen Normalisierung' gesprochen werden. Außerdem war die den gesamten europäischen Kulturraum bestimmende Welt der Antike in Deutschland zwar unabdingbares Repertoire gelehrter Dichtkunst, aber nicht wirklich assimiliertes, poetisch lebendiges Bildungsgut.

Während sich die deutschsprachige Literatur in diesen beiden Hinsichten noch in einem Entwicklungsstadium befand, klaffte in ihr bereits ein tiefer Riß zwischen zwei entgegengesetzten Positionen. Auf der einen Seite forderten die Aufklärer mit ihrer strengen, am französischen Klassizismus orientierten Normpoetik eine Literatur, die Vernunft und Tugendstreben als Ideale darstellen sollte – die Empfindsamkeit dagegen bekämpfte diesen in ihren Augen seelenlosen Rationalismus und zelebrierte subjektiven Gefühlsüberschwang, Freundschaftskult und Schwärmerei. Die Situation radikalisierte sich, als die junge Generation des Sturm und Drang, zu dessen Protagonisten Goethe und Schiller selbst gehörten, zu Beginn der 70er Jahre mit sozialkritischem Impuls und programmatischem Sprengen der Formen dem Establishment den Kampf ansagte.

Doch der Bewegung war jegliche politische Wirkung versagt, die meisten 'jungen Wilden' verstummten, Goethe trat fluchtartig seine Italienreise an – aus privaten Gründen: um dem Druck seiner Verpflichtungen als Minister in Weimar zu entkommen und um von der hoffnungslosen Leidenschaft zu Charlotte von Stein Abstand zu gewinnen; literarisch hatte er seine Sturm-und-Drang-Periode schon vor Jahren abgeschlossen.

Goethes Begegnung mit der Antike, die in den zwei Jahren seines Aufenthaltes südlich der Alpen stattfand, ist einer der Ausgangspunkte der Weimarer Klassik: sie bewirkte einen Wandel in seiner ästhetischen Haltung, und durch diesen vollzog sich nicht nur ein Neubeginn in seinem Leben, sondern auch eine Neuentfaltung seiner früheren, in der ersten Weimarer Phase z. T. stockenden kreativen Energie.

Die Sensibilisierung für die Welt der alten Griechen erfolgte allerdings schon vor seiner Abreise. Der Archäologe und Kunstgelehrte Johann Joachim Winckelmann hatte mit seinem Hauptwerk Geschichte der Kunst des Altertums (1764) einen entscheidenden Beitrag zu einer neuen Wahrnehmung der Antike geleistet, indem er den bis dahin historisch orientierten, auf Rom fixierten Blickwinkel auf das hellenische Altertum lenkte, in dessen Kunst er ein apollinisches Schönheitsideal erfüllt sah, dessen Wesen er mit der berühmten Wortfügung »edle Einfalt und stille Größe« charakterisierte.

Das Winckelmannsche Bild der Antike und sein darin enthaltenes Harmoniestreben wirkten als Katalysator für die Synthese, die Goethe – und dann auch Schiller – während der Periode der Hochklassik aus den zuvor auseinanderstrebenden Tendenzen gelang. Es bot die Vision eines ausgleichenden, organischen Miteinanders von Gefühl und Verstand, Natur und Kultur: eine Vision, die in der formbewußten, auf alles Grelle, Gekünstelte und Gewaltsame verzichtenden Dichtung jenes Doppeljahrzehnts ihren gültigen Ausdruck fand.

Bei Schiller löste eine intensive Auseinandersetzung mit den Schriften Immanuel Kants die Wendung zur Klassik aus. Kants Kritik der Urteilskraft (1790), die eine Ästhetik der Kunst und der Natur entwirft, wurde zum Ausgangspunkt für die zahlreichen eigenen ästhetischen Schriften. Der Aufsatz Über Anmut und Würde (1793) postulierte, über Kant hinausgehend, die Existenz des Schönen nicht nur im Betrachtenden, sondern als Ausdruck der Freiheit in der Erscheinung selbst, was er beim Menschen als »moralische Schönheit« bezeichnete, deren Ausdruck die Anmut sei. Im selben Jahr erschienen die Abhandlungen Vom Erhabenen. Zur weiteren Ausführung einiger Kantischer Ideen und Über das Pathetische, worin die Katharsis als Offenbarung von Freiheit und Wille im Leiden des tragischen Helden beschrieben wird.

Auch Schillers Interesse hatte sich immer mehr der antiken, hellenischen Welt zugewandt, die – wiederum vom Konzept Winckelmanns ausgehend – seinem mythischen Weltbild, in dessen Zentrum der Mensch als moralisch-ästhetische Existenz steht, einen konkreten, sinngebenden Rahmen bot.

Am 21. Juli 1794 kam in Jena das entscheidende Treffen zwischen Goethe und Schiller zustande, die sich bis dahin eher distanziert zueinader verhalten hatten. Nun fand sich »eine unerwartete
Übereinstimmung, die um so interessanter war, weil sie wirklich aus der größten Verschiedenheit der Gesichtspunkte hervorging. Ein jeder konnte dem anderen etwas geben, was ihm fehlte, und etwas dafür empfangen« (Schiller an Körner). 1795 erschien Schillers Aufsatz Über naive und sentimentalische Kunst, in dem er die antike Poesie der Griechen als naturempfindend in Gegensatz zur Dichtung späterer Zeiten setzte: diese sucht die Natur und stellt Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar, sondern im Verhältnis zum Ideal dar. Mit dieser Definition von realistischem und idealistischem Dichtertum brachte er zugleich den Unterschied zwischen Goethes und seiner eigenen Auffassung auf den Punkt.

Nun begann die Zeit, in der sich die beiden Dichterfürsten trotz – oder gerade dank – ihres unterschiedlichen Temperaments und der differierenden Ausgangspositionen gegenseitig anregten und einen Großteil der Werke schufen, die bis heute das Attribut klassisch für sich in Anspruch nehmen können. Unmittelbares Ergebnis der Zusammenarbeit waren die Zeitschriften Die Horen, Die Propyläen und der Musenalmanach, die zu Organen der klassischen Kunst- und Literaturprogrammatik wurden. Eine echte Koproduktion waren die Xenien (1796), fast tausend bissig-ironische 'Gastgeschenke', die sich provokativ mit einzelnen Personen und Werken der Zeit auseinandersetzten und sowohl persönliche Gegner als auch gesellschaftliche Mißstände, Verirrungen in Kunst und Wissenschaft sowie literarische Plattheiten aufs Korn nahmen.

Vom gegenseitigen Gedankenaustausch beflügelt, konnte der eine wie der andere jetzt die individuelle Produktion in allen literarischen Gattungen zur Entfaltung bringen. Im »Balladenjahr« 1797 schrieb Goethe Der Zauberlehrling, Der Gott und die Bajadere sowie Die Braut von Korinth, Schiller Der Taucher, Der Ring des Polykrates, Der Handschuh, Die Kraniche des Ibykus, und ein Jahr später Die Bürgschaft. Auch des letzteren Ideenlyrik, die mit dem Gedicht Die Ideale (1796) ihren Ausgang nahm, fand in den nächsten Jahren ihre Vollendung mit Das Ideal und das Leben, Der Spaziergang, Nänie und Das Lied von der Glocke.

Mit der für ihn charakteristischen Vielseitigkeit und Energie nahm Goethe nun verschiedene Projekte in Angriff, wobei Schillers Rolle als Kunstrichter ihm entscheidende Impulse gab. Seine Dramen Torquato Tasso, das die Künstlerproblematik beispielhaft auslotet, und Iphigenie auf Tauris, vielleicht das klassische deutsche Drama schlechthin, hatte er bereits 1790 bzw. 1787 in die endgültige, versifizierte Form gebracht. Jetzt machte er sich an die Umarbeitung und Vollendung des Faust-Fragments, die sich insgesamt über elf Jahre hinzog und schließlich als Faust. Der Tragödie erster Teil (erschienen 1808) abgeschlossen wurde – zusammen mit dem zweiten, erst kurz vor seinem Tode vollendetem Teil eines der universalsten Bühnenstücke der Weltliteratur.

Ein weiteres großes Werk, das ebenfalls schon in Jugendjahren begonnen worden war, konnte Goethe nun fertigstellen: Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795–1796), das die Romantiker später zum Vorbild, zum konkretisierten Ideal ihrer poetischen Vorstellungen erhoben. Dieser Künstler- und Bildungsroman zeichnet die Entwicklung eines bürgerlichen Theaterdichters vom schwärmerischen Jüngling zum anerkannten Geistesaristokraten nach, dessen Sinnsuche mit der Einordnung in das Praktisch-Tätige endet. Daneben schrieb Goethe das bürgerliche Epos Hermann und Dorothea (1797), den Entwurf des Helena-Aktes für Faust II, das symbolische Drama Die natürliche Tochter (1806), verschiedene kunstkritische Traktate (darunter Shakespeare und kein Ende) und übersetzte Voltaires Dramen Mahomet (1799) und Tancred (1800).

1797 zog Schiller von Jena nach Weimar. Hier entstanden, in der letzten Phase seines Lebens, die großen Geschichtsdramen, die seinen internationalen Nachruhm begründet haben: die Wallenstein-Trilogie: Wallensteins Lager, Die Piccolomini, Wallensteins Tod (1800), Maria Stuart (1801), Die Jungfrau von Orleans (1801), Die Braut von Messina (1803) und Wilhelm Tell (1802/04) sowie das Fragment Demetrius (1815 gedruckt). In ihnen brachte er die deutsche Tragödie auf ein bis dahin nicht erreichtes Niveau; seine Werke beeinflußten das dramatische Schaffen des gesamten 19. Jahrhunderts. In der Polarität von Freiheit und historischem Pessimismus (»Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären«) zeichnete er ein dualistisches Menschenbild, dessen Tragik im Konflikt zwischen sittlicher Entscheidung und äußerer Notwendigkeit das Dilemma unserer modernen Welt spiegelt.

1805 starb Friedrich Schiller, Goethe wandte sich dem Jenaer Kreis der Romantik zu. Der vielleicht folgenreichste Abschnitt in der Geschichte der deutschen Literatur war zu Ende gegangen.

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